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"Gerahmte Transparenz: imaginäre Stadtlandschaften im Europa des 21. Jahrhunderts"

Temporäre Einblicke in fremde Welten können unverhoffte Glücksmomente verschaffen, flüchtig wie ein Schattenwurf, der sich auf einer Häuserwand abzeichnet, die Spiegelung einer Straßenszene in einer Fensterscheibe, der Anblick von ruhend ausgestreckten Beinen in Strumpfhosen, deren Rippenmuster mit den breiten Stufen einer Treppenanlage korrespondiert.
In ihren gebauten Proportionen bietet gerade die moderne Stadt mit gelenkten Verkehrsströmen, öffentlichen Parks, Geländern und Brüstungen, aber auch mit Durchsichten zwischen Hochhäusern und Bürotürmen, ein Raster von geometrischen Strukturen, deren Anblick sich je nach Position des Betrachters ein wenig verschieben mag. Mit Leben erfüllen Bewohnern und Passanten die bereit gestellte Infrastruktur: Sie folgen den architektonischen Vorgaben verdrossen, zerstreut oder ausgelassen. Oft aber bespielen sie die gebaute Welt doch ganz anders als ursprünglich vorgesehen. Jahreszeiten und Lebenssituation spielen dabei eine Rolle: Regenwetter oder die erste Frühlingssonne setzen ein anderes Licht, städtische Brachen entstehen, junge Studenten bewohnen öffentliche Plätze ungezwungener als vom Alltag zermürbte Berufstätige.
Dieses urbane Kräftespiel ordnend ins Bild zu setzen, bedarf es gleichermaßen einer Kamera, die das pulsierende Geschehen im Zweidimensionalen des Bildes für unser Auge plausibel zurecht rückt, wie eines analytischen, ja ethnologischen Blickes, der das Zusammenwirken von Architektur und Bewohnern als Ausdruck eines spezifisch-zeitgenössischen Lebensgefühls zu begreifen sucht.
Transparenzen, die sich durch reflektierende Scheiben eröffnen, oder kleinteilig gerahmte Sichtfelder, durch Fenster, Maueröffnungen oder Gitterwerk hindurch gesehen: Das Leben steckt voll Verheißungen, selbst dann, wenn wir nur durch einen Riss in einer Bauplane ein wenig Grün ausmachen können. Manche Einblicke scheinen wie in einem Film rasch an uns vorüberzuziehen, andere erwecken den Eindruck, man bräuchte nur die Hand auszustrecken, um die Utopie, so trügerisch sie auch sein mag, mit Händen zu greifen: Wilder Wein an einer Hauswand, auf die ein offenstehender Türflügel weist, das frische Grün, das hinter einem abgeblätterten Sprossenfenster  sprießt, vor dem sich malerisch, vielleicht aber auch nur der Not geschuldet, ein von einem Ast gehaltener weißer Vorhang wie ein Wiegenhimmel im Luftzug wölbt. Aber auch, eigenwillige, auf der fotografischen Bildfläche in ihrer geometrischen Ausrichtung noch betonte Formationen tun sich auf: Mülltonnen, die uniform wie Kreuze auf einem Soldatenfriedhof in den Vorgärten stehen, Menschenbeine, die inmitten von auf den Boden geworfenen Schattenzeichnungen als eine Art moderner Tanzkompanie agieren. Oder wir betrachten versunken ein rötliches Pflänzchen zwischen quadratischen Steinplatten, aus deren Ritzen Grashalme und Pionierpflanzen sich emporarbeiten, es hat gerade geregnet und die so entstandenen Wasserlachen binden in der Spiegelung großflächig strukturierte Fassaden moderner Bauwerke in das Bodenraster ein.
Claudia Fritz ordnet die Bilder zu Sequenzen an, die den Betrachter in das Wechselspiel von Proportionen, Schraffuren und Farbwechsel eintauchen lassen, so dass sich die unterschiedlichen Schauplätze (Krakau, Innsbruck, Freiburg u.a.) zu einer imaginären Stadtlandschaft des zweiten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts verbinden. Hier erschließt sich die Signatur eines urbanen europäischen Umfeldes: den tragenden Maßgaben von visueller Struktur und Rahmung nachgespürt, von kleinen Auszeiten des neugierig spähenden Auges und den Möglichkeiten der Kamera inspiriert. (Priv. Doz. Dr. Andrea Gnam)


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