“I am a passenger, and I ride and I ride… “lautet der Anfang eines Liedtextes von Iggy Pop, in dem er sich selber als Passagier des Lebens beschreibt. Für die Fotokünstlerin Claudia Fritz sind diese Songzeilen Inspiration ihrer jüngsten Serie.
Der Lebensraum, das sich Bewegen in demselben und die Beziehung zwischen Individuum und Umfeld, Augenscheinlichem und Verborgenem, Dauerhaftem und Augenblicklichem sind Fragestellungen, mit denen sich die Künstlerin immer wieder auseinandersetzt: Ihre Herangehensweise ist niemals anklagend oder gar fordernd, sondern es gelingt ihr durch ihr besonderes Gespür für das Schöne im Unscheinbaren, im Flüchtigen und im Vergänglichen auf erzählerische Weise den Blickwinkel zu erweitern.
Wie in den vorherigen Serien “Dschungel“ oder “Wem gehört die Stadt?“ ist auch in der neuesten Werkproduktion “Passenger“ ihr künstlerisches Aktionsfeld der urbane Kontext. Doch konzentriert sich Claudia Fritz nicht auf das Fassbare, vielmehr geht es ihr um die Wahrnehmung des Vorbeiziehenden, um das Festhalten unwiederkehrlicher, stetig sich wandelnder, zeitabhängiger Momente. Ein Passagier zu sein, bedeutet unterwegs zu sein, sich auf einer Reise zu befinden. Gemeint sein kann, neben kürzeren Ortswechseln oder dem permanenten Pendeln zwischen A und B, die Reise des Lebens, die mit der Geburt beginnt. Ob im engeren oder in einem ganzheitlichen Denken bewirkt jede Bewegung Veränderung und somit wird sie zum existenziellen Sinn des Daseins.
Der Mensch im Stadtgefüge ist unweigerlich – unabhängig davon, ob er selbst in Bewegung ist oder nicht – dem stetigen Fluss ausgesetzt und somit Teil des zeitlichen Kontinuums. Das Verweilen des Augenblicks und das Vermögen, Momente einzufrieren sind die inhaltlichen Bausteine der Arbeit von Claudia Fritz. Dafür begibt sie sich entweder selbst in einen Zustand der Fortbewegung, wobei sie aus fahrenden Zügen, Bussen, U- oder Seilbahnen und auf Rolltreppen zur Kamera greift, um den geeigneten Zeitausschnitt, auf den Auslöser zu drücken, abzuwarten. Im umgekehrten Prozess stellt sich die Fotografin an strategisch sorgfältig gewählten Positionen, um aus dem Ruhestadium heraus, das Vorbeiziehende festzuhalten.
Durch die Schnelllebigkeit der flüchtigen Momentaufnahmen haben ihre Bilder selten scharfe Konturen. Sie wirken wie Überlappungen verschiedener Anschauungsebenen von Vorder- und Hintergrund, zwischen denen das Auge des Betrachtenden hin und her schweift. Unterstützt wird der Eindruck von auf der Bildoberfläche schwebenden, sich verdichtenden Realitätsausschnitten dadurch, dass Claudia Fritz für diese Serie kaum direkt, sondern durch und vor Glasscheiben fotografiert. Immer wieder verschmelzen die auf den transparenten Fronten von Transportmitteln klebenden Sichtschutzfolien oder Werbeträger irritierend mit dem Augenblicklichen, dem der Geschwindigkeit unterlegenem Dahinter, sodass der Blick nicht nur auf das Bild fällt, sondern in dieses hineingezogen wird. Gepunktete Straßenränder, von Streiflichtern durchzogene Baumzeilen, von Schatten verfolgte Passanten oder in Rot getauchte Zugabteile sind Ergebnisse eines geschulten Sehens und vor allem das Resultat technischer und handwerklicher Fähigkeit, mit dem Fotoapparat Stimmungen durch Lichtfärbungen einzufangen. Licht wird in dieser Serie zum Scharnier zwischen Statischem und Bewegtem und öffnet den Zugang zu surreal wirkenden Zwischenräumen.
Claudia Fritz vergibt mit diesen ihren poetischen Fotoarbeiten Freitickets zum Umsteigen, um ein Stückweit zum Passagier auf ihrer eigenen Gedanken-Reise zu werden. (Lisa Trockner)